Soll ich dir mal ein Geheimnis verraten? Ich liebe Langeweile. Aber ich kann’s auch verstehen, wenn dich das irritiert. Denn für viele ist Langeweile ein unerträgliches Gefühl. Das konnten wir auch während der Corona-Pandemie beobachten: In Zeiten von Lockdown und Kontakbeschränkungen war das Internet voll von Tipps dafür, wie man die freie Zeit sinnvoll nutzen könne und was man gegen Langeweile tun kann. Das Wohnzimmer zum Home-Gym machen, eine neue Sprache lernen oder Meister*in für Bananenbrot oder Sauerteig werden. Hauptsache, es wird nicht langweilig. Dabei hat die Langeweile viele schöne Seiten, die ich dir in den folgenden Abschnitten näher bringen möchte. Und du wirst sehen, warum man nicht unbedingt Tipps gegen Langeweile braucht.
Langeweile aus psychologischer Sicht
John Eastwood, ein kanadischer Psychologe, sagt: „Langeweile ist das unangenehme Gefühl, eine zufriedenstellende Aktivität ausführen zu wollen, aber nicht zu können.” Daraus wird schon eine spannende Sache erkenntlich: Wir langweilen uns, wenn wir etwas machen, das uns nicht befriedigt. Oder in Momenten, in denen wir nichts machen, obwohl wir etwas machen wollen. Es kann also auch sein, dass uns einiges zur Auswahl steht, das wir tun könnten, wenn wir Langeweile empfinden: das Bad putzen, mit den Kids spielen, ein Buch in die Hand nehmen. Aber all das scheint uns in Momenten der Langeweile nicht befriedigend. Es ist also nicht nur das Nichtstun, das zu Langeweile führen kann, sondern auch die fehlende Sinnhaftigkeit unseres Tuns.
Warum wir uns langweilen
Vielleicht hast du das auch schon mal bei dir oder anderen beobachtet: Es gibt Menschen, die langweilen sich schnell, und andere nicht. Es gibt es keine eindeutigen Ursachen dafür, warum das so unterschiedlich ist, aber es gibt Merkmale, die miteinander korrelieren:
- Physiologische Erregung: Wer schnell gelangweilt ist, zeigt häufig weniger Erregung. Oft sind dann stärkere Stimuli nötig, um Aufmerksamkeit zu zeigen. Adrenalin-Junkies können sich daher im Alltag schneller langweilen.
- Aufmerksamkeit: Es konnte gezeigt werden, dass Langeweile mit Schwierigkeiten bei der Konzentration einhergeht.
- Emotionen: Wer Probleme damit hat, die eigenen Gefühle zu verstehen oder diese ignoriert, ist häufig schneller gelangweilt.
- Motivation: Egal, ob wir mit einer Handlung Freude verspüren oder Schmerz verhindern wollen – beides fördert Langeweile.
- Selbstkontrolle: Struktur und Plan helfen, Langeweile vorzubeugen. Wer in den Tag hinein lebt, wird auch mehr Situationen mit Langeweile erleben.
Besonders den Aspekt Aufmerksamkeit finde ich total spannend. Bei mir kommt häufig dann Langeweile auf, wenn mich eine Aufgabe unterfordert. Ich kann mich bei bestem Gewissen einfach nicht konzentrieren. Umgekehrt geht’s mir auch so, wenn mich etwas überfordert.
Langeweile und die Zeit
Ein wenig kann man das ja in dem Wort Langeweile schon erahnen und ich kenn’s auch: Der Zusammenhang von Langeweile und dem Faktor Zeit. Wenn mir langweilig ist, vergeht die Zeit einfach nicht! Also, natürlich tickt die Uhr weiter, aber gefühlt macht sie das mindestens Hundertmal langsamer.
Das liegt daran, dass wir in Zeiten von Langeweile keine emotionalen Erinnerungen schaffen. Diese bremsen die Zeit im Rückblick aus – und lassen sie länger erscheinen. Mir ging das zuletzt so bei einem Städtetrip: Das Wochenende verging rasend schnell. Trotzdem hatte ich schon nach einem Tag das Gefühl, schon eine Woche da zu sein. Mein Gehirn hat viele neue Reize aufgenommen, ich habe Neues gesehen und erlebt. Anders verhält es sich, wenn ich ein Wochenende zuhause mit meiner Lieblingsserie verbringe. So ein Wochenende kommt mir im Rückblick viel kürzer vor – weil ich weniger erlebt habe. Verrückt, oder? Dabei hatte das eine Wochenende ja nicht mehr oder weniger Stunden als das andere. Es muss also mit unserer Wahrnehmung von Zeit zu tun haben, ob wir etwas als langweilig und erfüllend wahrnehmen oder nicht.
Der Sinn von Langeweile
Oder: Warum keine Tipps gegen Langeweile sinnvoll sind
Wenn du mal nach Tipps gegen Langeweile bei Google & Co. gesucht hast, dann hast du vermutlich viele tolle Listen gefunden mit Ratschlägen wie Schrank aufräumen, ein Puzzle lösen, spazieren gehen, Sport treiben, Eis selbst machen, … Die Möglichkeiten, was man gegen Langeweile tun kann, sind endlos und zweifelsohne bieten sie dir viele tolle Möglichkeiten. Und nun das große Aber: Es ist total spannend, sich mal mit der Langeweile zu beschäftigen. Dann wirst du sehen, dass du die ganzen Tipps gegen Langeweile vielleicht nicht unbedingt brauchst. Und du verstehst, wieso ich eingangs so für die Langeweile geschwärmt habe.
1. Langeweile zeigt uns den Weg
Ich bin davon überzeugt, dass alle Gefühle, die wir haben, für etwas gut sind – auch vermeintlich negative Gefühle wie die Langeweile. Schauen wir uns mal zum Vergleich Schmerz an: Empfinden wir Schmerzen, macht unser Körper uns damit darauf aufmerksam, dass etwas nicht stimmt. Schmerz ist ein klares Signal, etwas anders zu machen: eine andere Sitzposition oder Bewegung.
So ähnlich ist es auch bei der Langeweile: Sie fordert uns dazu auf, etwas zu verändern. Zumal wir, wie du von oben weißt, keine Sinnhaftigkeit in unserer Handlung sehen, wenn wir uns langweilen. Mit Langeweile können wir verstehen, dass wir etwas tun, das uns nicht voranbringt. Die Kluft zwischen dem, was wir wollen, und dem, was wir haben, ist groß und so spüren wir Langeweile. Und das fühlt sich eben oft nicht gut an. Darum neigen einige von uns dazu, dieses Gefühl zu ersticken. Aber damit ignorieren wir diesen wichtigen Kompass. Das ändert langfristig nichts am Unwohlsein. Langeweile hat also die Kraft, uns zu korrigieren und zu motivieren. Und das ist alles andere als langweilig, oder?
2. Langeweile schickt Gedanken auf Wanderschaft
Was Langeweile für mich auch so herrlich macht, ist das Versinken in meine eigenen Gedanken. Momente der Langeweile geben mir die Chance, mich zu erden und mir und meinen Gedanken für einen Augenblick zuzuhören.
Mein Tipp: Wenn du das nächste Mal in einer niemals endenden Supermarktschlange stehst oder auf den Bus wartest, dann lass dein Handy mal in der Tasche und versuche, diese Zeit kurz für dich zu nutzen. |
Mit solchen kurzen Momenten anzufangen ist oft einfacher, als sich direkt Stunden der Langeweile auszusetzen. Dass dir das am Anfang schwer fallen mag, ist völlig normal. In meinen Augen spielt die innere Ruhe eine große Rolle dabei, Langeweile ertragen zu können. Aber ich sag dir: Es lohnt sich – das ist wie ein Kurzurlaub fürs Gehirn.
3. Langeweile macht kreativ
Was mir schon für kreative Ideen gekommen sind, als ich die Langeweile in meinen Kopf gelassen habe! Welchen Einfluss Langeweile auf Kreativität haben kann, wurde auch schon in Versuchen getestet: Menschen, die zuvor langweilige oder eintönige Aufgaben gemacht hatten, schnitten im Anschluss bei Kreativtests besser ab als Menschen, die vorher an fordernden Aufgaben gearbeitet hatten oder sich ablenken durften. Lassen wir die Langeweile zu, kann also Neues entstehen. Woran kann das liegen?
Eine mögliche Antwort ist das sogenannte Default Mode Network (auch: Ruhezustandsnetzwerk). Das ist ein bestimmter Zustand unseres Gehirns: Wenn wir nichts tun und keine Reize von außen bekommen, werden gewisse Hirnregionen aktiviert, die ansonsten eher inaktiv sind. Unsere Vorstellungskraft steigt, wir tagträumen, das Gehirn beschäftigt sich mit sich selbst, wir verarbeiten das Erlebte. Das kann unsere Kreativität tatsächlich steigern, denn bei kreativen Gedankenschüben machen wir ja eigentlich nichts anderes als unser Wissen, Erinnerungen und Information zu neuen Ideen zu verknüpfen.
Gleichzeitig zeigt das Default Mode Network noch eine andere spannende Sache: Ich dachte immer, wenn mir langweilig ist, schaltet mein Gehirn ab und da oben ist nichts los. Aber das Default Mode Network beweist das Gegenteil! Es ist unserem Gehirn scheinbar unmöglich, wirklich nichts zu tun. Es ist auch dann aktiv, wenn wir denken, es sei inaktiv. Und dieses Wissen hilft mir persönlich auch dabei, Langeweile besser auszuhalten. Vielleicht geht es dir ja auch mit der Zeit so.
Aber: Langeweile ist kein Allheilmittel
Wenn du nun denkst, dass Langeweile immer bei Ideenlosigkeit hilft, dann muss ich dich leider ein wenig ausbremsen. Unsere Laune und unser Zustand sind dabei auch wichtig. Fühlen wir uns generell aktivierter – beispielsweise durch Gefühle wie Glück oder Wut – fallen uns kreative Ideen leichter, als wenn wir absolut entspannt oder melancholisch sind. Und auch wenn ich großer Fan von Langeweile bin, will ich doch ganz offen mit dir sein: Nicht alles an Langeweile ist immer schön und rosig.
Wann Tipps gegen Langeweile doch sinnvoll sind
Kennst du den Ausdruck „sich zu Tode langweilen”? Tatsächlich zeigt eine Studie, dass Menschen, die sich oft langweilen, ein höheres Risiko haben, früher zu sterben.
Das liegt aber vermutlich nicht an der Langeweile selbst, sondern an Risikofaktoren, die damit einhergehen können. Das wird am Beispiel Essen deutlich: Wer sich viel und schnell langweilt, neigt dazu, mehr und ungesünder zu essen. Das wird verstärkt, wenn man eine geringe Gefühlskontrolle hat.
Auch zwischen Langeweile und Depressionen scheint es Verbindungen zu geben: Jugendliche, die sich häufiger langweilen, entwickeln auch eher Symptome einer Depression. Und wie schon erwähnt kann gerade Langeweile am Arbeitsplatz zum Boreout-Syndrom führen – also eine dauerhafte Unterforderung im Job, mit der Schlafstörungen, Antriebslosigkeit oder innere Leere einhergehen können. Und das kann im schlimmsten Fall in einer Depression enden.
Wenn du oder jemand, den du kennst, mit Krankheiten wie Depressionen zu kämpfen hat, dann findest du Unterstützung bei der Deutschen Depressionshilfe oder telefonisch beim Info-Telefon Depression unter 0800 – 33 44 533. Schau auch gerne, welche anderen Anlaufstellen es gibt. |
… und zum Schluss: Doch zwei Tipps gegen Langeweile
Ich hoffe, dass ich dir mit meinen Zeilen ein paar neue Perspektiven auf das Thema Langeweile geben konnte – und dass du vielleicht lernst, langweilige Momente besser auszuhalten. Schick deine Gedanken auf Wanderschaft, lern dich selbst kennen, entdecke, was dir wichtig ist! Das können die guten und besonderen Seiten der Langeweile sein.
Und solltest du doch merken, dass du gerade im Berufsleben eine andauernde Langeweile verspürst, dann ist es vielleicht an der Zeit, eine andere Richtung einzuschlagen. Denn acht Stunden Langeweile am Tag wären selbst für mich zu viel. Für manche mag ein Jobwechsel eine gute Option sein – für andere eine Weiterbildung, die dir neue Impulse für deine Zukunft gibt. So oder so: Beides kann dich wieder zu mehr Sinnhaftigkeit bringen. Schau doch mal, ob du hier was Passendes für dich findest:
verfasst von Herdis Monje