Das Leben nach einem Unfall oder einer längeren körperlichen oder psychischen Erkrankung ist nicht mehr dasselbe wie vorher – auch nicht das Berufsleben. Und gerade der Ausfall durch psychische Krankheiten ist so hoch wie noch nie. Egal, ob du von einer längeren Krankheit betroffen bist oder nicht: Es ist gut, für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein. Darum erfährst du hier alles zum Thema Wiedereingliederung nach Krankheit.
Die stufenweise Wiedereingliederung nach Krankheit
Die stufenweise Wiedereingliederung nach einer Krankheit ist für Arbeitnehmer*innen freiwillig und soll helfen, sie langsam wieder an ihren Arbeitsalltag zu gewöhnen und so auch weitere krankheitsbedingte Fehlzeiten zu vermeiden. Zuerst steht aber die ärztliche Feststellung, dass man wieder teilweise arbeitsfähig ist. Ein*e Ärzt*in entscheidet also darüber, ob man schon wieder fit genug für den Job ist. Und er*sie leitet auch die stufenweise Wiedereingliederung über die Krankenkasse mit dem Arbeitgeber ein. Natürlich hat man als Arbeitnehmer*in dabei bestimmte Rechte und Pflichten zu beachten und man sollte sich auf jeden Fall zügig mit dem Arbeitgeber in Verbindung setzen und die Möglichkeiten besprechen. Oft wird bereits während einer Reha ein Antrag auf eine Wiedereingliederung gestellt.
Voraussetzung für eine Wiedereingliederung nach Krankheit
Arbeitnehmer*innen, die innerhalb von zwölf Monaten sechs Wochen arbeitsunfähig, also krank geschrieben waren, haben ein Anrecht auf eine Wiedereingliederung. Dazu ist der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet; man nennt das betriebliche Wiedereingliederung. Voraussetzung ist natürlich, dass der*die Arbeitnehmer*in gesetzlich krankenversichert sind. Wie lange eine stufenweise Wiedereingliederung dauert, hängt von dem gesundheitlichen Zustand des*der Arbeitnehmer*in ab und kann jederzeit flexibel verkürzt oder verlängert werden. Denn es geht in erster Linie darum, die Gesundheit des*der Arbeitnehmer*in wieder zu 100 Prozent herzustellen. Denn, du kannst es dir vielleicht schon denken: Gesundheit geht immer vor.
Die Dauer
Es gibt keine gesetzliche Zeitbegrenzung, aber meistens wird eine Dauer von vier bis acht Wochen festgelegt. Nach einer psychischen Erkrankung kann die stufenweise Wiedereingliederung auf zwölf Wochen verlängert werden. Eine Dauer von mehr als sechs Monaten ist unüblich.
Und wie sieht es mit dem Gehalt aus? Wenn Arbeitnehmer*innen länger als sechs Wochen im Krankenstand sind, beziehen sie Krankengeld über die Krankenkasse. Das sind 70 Prozent des letzten Bruttolohns. Während der Wiedereingliederung besteht weiterhin der Status einer Arbeitsunfähigkeit, dem*der Arbeitgeber*in entstehen dabei also keine Kosten.
Die zwei Systeme der Wiedereingliederung
Es gibt zwei Systeme, die eine Wiedereingliederung nach einer Arbeitsfähigkeit ermöglichen sollen:
- Das Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM): Im Rahmen dieser Maßnahme beraten Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen gemeinsam mit dem Betriebsarzt darüber, wie die Gesundheit am Arbeitsplatz sichergestellt werden kann. Auch gesundheitsfördernde Angebote und Qualifizierungsmaßnahmen können auf dem Plan stehen. Dieses betriebliche Eingliederungsmanagement ist Teil der betrieblichen Gesundheitsvorsorge und meist in der Personalabteilung eines Unternehmens angesiedelt.
- Das Hamburger Modell: Bei der Wiedereingliederung nach § 74 Sozialgesetzbuch (SGB) V werden Mitarbeiter*innen Schritt für Schritt zurück ins Arbeitsleben geführt. Dabei gilt ein Stufenmodell: Die Anzahl der Arbeitsstunden wird über mehrere Wochen hinweg immer weiter angehoben. Die stufenweise Wiedereingliederung kann Teil eines Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) sein. Beide Arten der Wiedereingliederung nach einer Krankheit sind aber ähnlich im Aufbau und Ablauf. Das BEM wird eher in großen Unternehmen praktiziert, das Hamburger Modell ist für kleinere Firmen gedacht, die kein betriebliches Gesundheitsmanagement haben.
Ablaufplan der Wiedereingliederung nach Krankheit
Für eine stufenweise Wiedereingliederung beraten alle Beteiligten, also Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen, Ärzt*in, Krankenkasse und eventuell der Reha-Träger über eine Ablaufplan. Diese Faktoren werden dabei festgelegt:
- Beginn und Ende des Wiedereingliederungsplans
- Einzelheiten über die verschiedenen Stufen (Art und Dauer)
- Rücktrittsrecht vor dem vereinbarten Ende
- Gründe für ein vorzeitiges Zurücktreten
- Ruhen der entgegenstehenden Bestimmungen des Arbeitsvertrages während der Dauer der Wiedereingliederung
- Höhe eines eventuell gezahlten Arbeitsentgelts
Damit die stufenweise Wiedereingliederung stattfinden kann, müssen sowohl die versicherte Person als auch der Betrieb diesem sogenannten Wiedereingliederungsplan zustimmen, der die genauen Bedingungen der Wiedereingliederung regelt. Der Wiedereingliederungsplan muss flexibel sein und bei Bedarf angepasst werden, zum Beispiel was die Dauer, die Stufen und die tägliche Arbeitszeit angeht. Das wird bei den regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen überprüft, welche die Wiedereingliederung begleiten müssen. Ist dies erfolgt, steht der Wiedereingliederung nichts mehr im Weg.
Beispiel einer Wiedereingliederung nach Krankheit
Woche 1 bis 2
In der ersten zwei Wochen arbeitet der*die Arbeitnehmer*in maximal vier Stunden am Tag und erledigt leichte Aufgaben wie E-Mails checken, Termine mit Kollegen*innen vereinbaren oder an kleinen Meetings teilnehmen. Vermieden werden sollten Zeitdruck, hoher Workload und zu anspruchsvolle Aufgaben. Das bedeutet also konkret, wenige Stunden am Tag erst einmal wieder in den beruflichen Alltag hineinfinden und nicht sofort wieder an zum Beispiel wichtigen und zeitkritischen Projekten mitzuarbeiten.
Woche 4 bis 8
In den nächsten drei bis fünf Wochen ist die Tagesarbeitszeit auf fünf Stunden begrenzt. Weiterhin können leichte Aufgaben erledigt werden, aber wie in den beiden ersten Wochen müssen Zeitdruck, hoher Workload und zu anspruchsvolle Aufgaben vermieden werden. In der vierten bis achten Woche sollten leichte bis mittelschwere Aufgaben bei einer täglichen Arbeitszeit von nicht mehr als sechs Stunden erledigt werden. Auch die Teilnahme an größeren Meetings ist denkbar, aber ohne Zeitdruck und hohen Workload.
Ab Woche 9
Ab da an kann es heißen: Business as usual, bei 8 Stunden täglich, aber ohne Zeitdruck. Hier gilt es immer den Gesundheitszustand des*der Arbeitnehmer*in im Blick zu haben und eine Überlastung zu verhindern. Das geht natürlich nur, wenn sich der*die Arbeitnehmer*in auch im Stande dazu fühlt. Auch hier heißt es aber nicht: volle Power. Sondern lieber langsam und ohne Druck. Denn körperlicher und geistiger Stress machen eine vollständige Erholung nahezu unmöglich.
Jede Wiedereingliederung wird von dem*der Ärzt*in des Arbeitnehmers begleitet und der gesundheitliche Zustand entscheidet über Fortdauer der Wiedereingliederung. Grundsätzlich aber gilt: Arbeitnehmer*innen müssen keine Wiedereingliederungsmaßnahme wahrnehmen, wenn sie das nicht möchten. Sie können auch auf die Maßnahme verzichten und erst dann wieder starten, wenn sie voll einsatzfähig sind.
Wiedereingliederung nach Krankheit: Sinnvoll oder übertrieben?
Grundsätzlich soll die Wiedereingliederung nach einer langen Krankheitsphase helfen und nicht schaden. Schließlich ist der Organismus durch eine längere Geneseung geschwächt, unser Körper und auch die Seele brauchen Zeit, um wieder leistungsfähig zu sein und am alltäglichen Leben teilzuhaben. Deshalb ist eine schrittweise Wiederaufnahme der Arbeit grundsätzlich sinnvoll und gesund. Die aktive Teilnahme des Arbeitgebers unterstützt also Arbeitnehmer*innen bei der Erlangung der vollen Arbeitskraft. Gerade aus Sicht der Personalverantwortlichen der HR-Abteilung ist ein betriebliches Eingliederungsmanagement von Vorteil, da auf Dauer längere Ausfälle durch Arbeitsunfähigkeit vermieden und die damit verbundenen Kosten (zum Beispiel Einstellung und Einarbeitung von Ersatzkräften) verringert werden. Zudem bleiben dem Unternehmen das Wissen, die Fähigkeiten und Fertigkeiten des*der Mitarbeiter*in erhalten.
Eine Wiedereingliederung ablehnen
Wie schon gesagt: Niemand ist verpflichtet oder kann gezwungen werden, an einer stufenweise Wiedereingliederung teilzunehmen. Zum einen können Krankenkasse und Arbeitgeber*innen eine Wiedereingliederung ablehnen, wenn zum Beispiel die Voraussetzungen nicht vorliegen. Zum anderen ist auch kein*e Arbeitnehmer*in verpflichtet, an einer Wiedereingliederungsmaßnahme teilzunehmen. Die gesundheitlichen Vorteile haben wir ja bereits erläutert. Aber zu beachten ist, dass sich sich eine Ablehnung durch den*die Arbeitnehmer*in später negativ auf seine*ihre Aussichten in einer Kündigungsschutzklage auswirken, wenn in Zukunft eine krankheitsbedingte Kündigung stattfinden sollte.
Zeit für Veränderungen
Klar ist auch: Eine Wiedereingliederung kann belastend sein. Gerade wenn man sich noch nicht richtig gesund fühlt oder der aktuelle Arbeitsplatz oder Arbeitgeber nicht zu einem passt. Schließlich kann es sein, dass sich die eigenen Werte oder Prioritäten durch die Krankheitserfahrung ändern. Dann kann es Zeit für eine Veränderung sein – zum Beispiel durch einen neuen Job. Aber auch eine berufliche Weiterbildung, in der du bestehende Skills aufwerten oder neue erlernen kannst, stärken den eigenen Stellenwert und das Selbstbewusstsein – für eine gesunde, frische berufliche Zukunft.