Mouhcine Camel und seine „Straßenschule“
Mouhcine steht in einer kleinen Seitengasse in Essaouira, Marokko. Auf Plastikstühlen sitzen Kinder und Jugendliche vor ihm und lauschen gebannt seinen Worten. Der Lehrer, der ursprünglich aus Safi kommt, unterrichtet unter anderem auch in seiner Freizeit – in den Straßen von Marokko – weil die Kinder und Jugendlichen wissbegierig sind und lernen wollen, doch das staatliche Bildungssystem hinkt hinterher.
Lernen als Privileg
Zur Schule zu gehen, zu lernen und sich weiterzubilden – all das ist in Deutschland normal. Für Kinder und Jugendliche in Marokko ist Lernen jedoch ein Privileg. Auch wenn es dort Schulen gibt und das Land in Sachen Bildung weiter ist als so manch afrikanischer Staat, gibt es nicht genug Möglichkeiten, zu lernen bzw. die Bildungsangebote richtig zu nutzen. Insbesondere Sprachunterricht fehlt an vielen Schulen.
Obwohl Marokko 25 % seines Budgets in Bildung investiert und eine „strategische Vision der Bildungsreform“ anstrebt gehört Marokko zu den „25 Ländern, die in Sachen Einschulung am meisten hinterherhinken“.
Die Moroccan World News berichteten im August 2022, dass fast 15 % der jungen Bevölkerung Marokkos im Alter zwischen 15 und 24 Jahren keinen akademischen oder beruflichen Ausbildungsabschluss besitzen. Laut einem aktuellen Bericht der marokkanischen Higher Commission for Planning (HCP), einer staatlichen Forschungseinrichtung, besitzt nur ein Fünftel der jungen Bevölkerung Marokkos einen akademischen Abschluss.
Mouhcine unterrichtet als Lehrer an einer Grundschule in den Bergen, die 65 km von Essaouira entfernt liegt. Unter der Woche nimmt er jeden Tag die Fahrt mit seinem Motorrad in die Berge auf sich, um Kindern das Lernen zu ermöglichen. Wir haben ihn getroffen und gefragt, warum er zusätzlich seit 2017 freiwillig und neben seinem normalen Job als Lehrer auf den Straßen Marokkos unterrichtet:
„Unterrichten ist mein Traum. Nicht nur an Schulen, sondern überall. Ich habe gemerkt, dass es mehr braucht als nur Sprachen und Naturwissenschaften. Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene, brauchen Selbstvertrauen. Und das versuche ich, mit meinem Unterricht auf der Straße zu vermitteln.“
Freiwillig und ohne Zwang
Der Englischunterricht „English Street Class“ in den Straßen von Marokko ist zwar noch ein Geheimtipp, aber andere Länder berichteten schon über sein Modell. So reisen unterschiedliche Lehrer*innen bereits auf eigene Kosten nach Marokko, um Mouhcine bei seinem Projekt zu unterstützen. Sie geben kostenfrei Unterricht – sogar auch auf deutsch, wie zum Beispiel letztes Jahr, als eine Lehrerin aus Deutschland das Projekt freiwillig unterstützte.
Es wird nicht nur die Sprache mitgegeben, sondern auch das Vertrauen in sich selbst und Selbstbewusstsein, das Gelernte auch in die Praxis anzuwenden. Was Mouhcine vor allem wichtig ist: Ein Vorbild zu sein und die Schüler*innen zu inspirieren.
Die Kinder und Jugendlichen, aber auch die Erwachsenen sowie auch die Helfer*innen, sind alle freiwillig hier. Sie alle verbindet vor allem eines: der große Wunsch zu lernen und niemand zwingt sie dazu. Sie kommen gerne und genießen die Gemeinschaft. Es hat sich in Marokko bereits herumgesprochen, dass man hier nicht nur Sprache lernen kann, sondern auch etwas für‘s Leben lernt.
„Das, was du an Wissen im Kopf hast, kann dir keiner nehmen“, so Mouhcine.
Natürlich sind einige Straßen von Marokko nicht ganz ungefährlich, aber Mouhcine will in den Straßen weiter unterrichten, denn es ist ihm ein Herzensanliegen.
Kleine Idee mit großer Wirkung
Dass dieses Konzept Menschen weiterhilft, sie sogar zu anderen Menschen macht, zeigt die Geschichte von einem seiner Schüler.
Said, ein Tischler, machte sich in den Straßen Marokkos auf den Weg und kam auf die „English Street Class“. Dort wollte er unbedingt sein englisch verbessern, in der Hoffnung, seine ausländischen Kunden besser betreuen zu können und mehr Aufträge als Tischler zu an Land zu ziehen. Jeden Tag kam er zum Straßenunterricht. Er hatte so einen hohen Lernwillen, dass Mouhcine ihm irgendwann einen Eignungstest gab. Einen, den man auch an Universitäten macht. Said konnte die Fragen mit Leichtigkeit beantworten, er löste die Aufgaben überdurchschnittlich gut und schnell. Mouhcine ermutigte ihn, seinen Schulabschluss nachzuholen, denn Said schmiss damals die Schule hin, um Handwerker zu werden. Said fasste so viel Selbstvertrauen, holte seinen Abschluss nach und studiert nun, seit 2020 Jura an der Universität. Nächstes Jahr wird er seinen Bachelor absolvieren. Dies ist nur eine von vielen Erfolgsgeschichten, die auf den Straßen Marokkos entstehen.
„Wir inspirieren die Menschen, das zu tun, was sie wirklich von Herzen wollen. Ob du auch Lehrer*in, Arzt/Ärztin oder Anwalt/Anwältin werden möchtest: wir möchten dich einfach motivieren und unterstützen, das zu tun. Denn alles ist möglich!“, so Mouhcine.
Während das staatliche Bildungssystem hinterher hinkt, werden immer mehr Freiwillige tätig, um Hoffnungsträger zu sein. So auch Mouhcine, der mittlerweile immer mehr engagierte Lehrer*innen dazu bewegt, sich für die Kinder und Jugendlichen einzusetzen, damit die Jugend Marokkos wieder Hoffnung schöpfen kann und auch sie das Gelernte weitergeben können.
Wer ihn unterstützen möchte – denn er bekommt keine staatliche Unterstützung – kann dies über Paypal tun.
Von dem Geld kauft das freiwillige Team Plastikstühle, damit die Kinder etwas zum Sitzen haben – oder aber auch Materialien wie Papier und Stifte. Ein Plastikstuhl kostet nur 5 Euro. Das ist wirklich nicht viel, wenn man bedenkt, welch große Wirkung man damit erreichen kann. Vielleicht erfüllt sich so ein Traum von einem Menschen, seinen Platz zu finden und einen Lebensweg zu gehen, den es sonst in Marokko nicht an der Schule gegeben hätte.
Es ist auch dir ein Herzensanliegen Mouhcine Camel mit seinem Projekt zu unterstützen? Unterstütze mit uns zusammen das Projekt hier.
Quellen:
https://www.humanium.org/de/bildung-in-marokko
https://www.instagram.com/p/ChLVdzcItnI
https://www.instagram.com/mouhcinecamel