Spätestens seit wir uns während der Corona-Pandemie räumlich voneinander distanziert haben, ist das Stichwort Empathie in den Fokus gerückt. Auch im beruflichen Kontext wird immer häufiger von Empathie gesprochen. Ein paar Beispiele: Empathie gilt als unerlässlicher Soft Skill, als Voraussetzung für bestimmte Jobs im sozialen oder medizinischen Bereich oder hilft einfach für ein gutes Miteinander und Betriebsklima. Die meisten empfinden Empathie als etwas Gutes, Erstrebenswertes. Und das ist auch nicht per se falsch – nur ein wenig zu kurz gegriffen. Denn wer Empathie nur als gute Eigenschaft betrachtet, übersieht, dass Empathie auch ihre Schattenseiten hat. Denn sie kann auch manipulativ eingesetzt werden.
Was ist Empathie eigentlich?
Bevor wir uns der Frage widmen, wie Empathie zu Manipulation wird, müssen wir uns erstmal ein wenig mit Empathie an sich beschäftigen. Dabei fällt auf: Obwohl wir alle ein Verständnis von Empathie haben, gibt es bis heute keinen wissenschaftlichen Konsens für eine konkrete Definition. In der Regel verstehen wir darunter die Fähigkeit, die Gefühle unserer Mitmenschen nachfühlen zu können und uns vorzustellen, was andere denken und empfinden. Dazu gehört auch die Reaktion auf die Gefühle: Wir bieten unsere Hilfe an, freuen uns mit einer Person oder schenken jemandem eine warme Umarmung.
Dabei ist Empathie deutlich von Mitgefühl zu unterscheiden: Sind wir empathisch, dann empfinden wir – zumindest in Teilen – wie die andere Person. Ist jemand traurig, macht uns das auch traurig. Beim Mitleid oder Mitgefühl bedauern wir die Umstände, in denen jemand steckt.
Die drei Formen der Empathie
Eine Sache, in der sich Forschende einig sind: Es gibt verschiedene Arten, die wir nun näher betrachten möchten:
Affektive Empathie
Die affektive bzw. emotionale Empathie beschreibt die Fähigkeit, die Gefühle anderer nachzufühlen. Eine Freundin erzählt uns von ihrem Jobverlust und wir spüren ihre Verzweiflung. Die affektive Empathie ist also unsere Antwort auf einen Gefühlszustand anderer. Sie hilft dabei, emotionale Verbindungen zu anderen Menschen herzustellen.
Kognitive Empathie
Auch ohne die Gefühle anderer können wir uns in eine andere Person hineinversetzen: mit unserem Verstand. Verliert dein Kollege einen Angehörigen, musst du nicht direkt mittrauern – aber du kannst verstehen, wie es ihm geht und entsprechend darauf reagieren. Du bist dann also in der Lage, zu erkennen, was sich im Verstand einer anderen Person abspielt.
Soziale Empathie
Hier geht es streng genommen nicht um eine weitere Art, sondern eher um die Frage, auf wen sich unsere Empathie richtet. Denn bei der sozialen Empathie geht es nicht um die Gefühle einzelner, sondern sie beschreibt das Vermögen, die Bedürfnisse von Gruppen zu verstehen. Ein Beispiel sind Personen aus anderen sozialen Schichten oder Kulturen.
Wie Empathie zu Manipulation wird
Häufig gilt Empathie als Basis für moralisches Verhalten. Wer mitfühlen kann, handelt richtig. Dabei ist Einfühlungsvermögen nicht automatisch auch Fürsorglichkeit. Das positive Bild der Empathie kommt auch daher, dass oft davon ausgegangen wird, man sei für andere empathisch. Der Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt eröffnet jedoch eine neue Perspektive: Empathie hilft erstmal derjenigen Person, die selbst empathisch ist. Denn empathisch zu sein, ist für einen selbst bereichernd: Man nimmt Teil am Leben anderer, lebt mehr als das eigene Leben und hat dadurch eine komplexere Gefühlswelt.
Gleichzeitig ist es vor allem in der kognitiven Empathie gar nicht vorgesehen, zum Wohle anderer zu denken. Denn, wie du schon von vorher weißt: Darunter versteht man, wie eine andere Person tickt und welche Bedürfnisse sie hat. Und genau dieses empathische Wissen kann dazu genutzt werden, andere Menschen zu manipulieren und zu beeinflussen. Das wiederum kann in den unterschiedlichsten Kontexten eingesetzt werden: Beim Dating, wenn man einen Geschäftspartner zu einer Zusammenarbeit bringen möchte oder letztlich sogar dann, wenn Psychopath*innen ein gutes Gefühl für potentielle Opfer entwickelt, um ihnen zu schaden.
Beispiele für manipulative Empathie im Job
Eins vorweg: Selbstverständlich ist nicht jede Art von Empathie, die dir im Beruf oder in der Freizeit entgegenkommt, auch manipulativ. Es ist aber praktisch, darauf zu achten – damit du im Fall der Fälle deine Grenzen ziehen kannst und dich vor Verletzung schützt.
#1 Schuldgefühle
Eine manipulative Person – zum Beispiel Chef*in oder Kolleg*in – kann deine Empathiefähigkeit nutzen, um bei dir Schuldgefühle auszulösen. Vielleicht bringt dich das dazu, der anderen Person zu helfen und deine eigenen Grenzen zu übersteigen, auch, wenn du das eigentlich gar nicht möchtest.
Karen arbeitet an einem wichtigen Projekt, das nächste Woche fertig sein muss. Ihr Chef Uwe erwähnt immer wieder, wie riesig doch sein Berg an Arbeit ist und dass er deswegen keine Zeit mit seinen Kindern verbringen kann. Karen hat Mitgefühl und nimmt ihrem Chef einige Aufgaben ab. Das führt bei ihr zu noch mehr Überstunden. Karen schläft schlecht, ist nicht richtig erholt und steht unter permanentem Stress.
#2 Entscheidungen
Durch Manipulation können wir dazu gebracht werden, Entscheidungen zu treffen. Eine Person in unserem Arbeitsumfeld tritt einfühlsam auf und erklärt, wie sehr sie auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Das kann wiederum dazu führen, dass man selbst Entscheidungen trifft, die den Interessen der Manipulierenden dienen.
Stefan hat ein gutes Verhältnis zu seiner Chefin Inge. Er und seine Kollegin Miriam sind im Rennen um den Teamleiter-Posten. Miriam zeigt sich Stefan gegenüber verletzlich und erzählt ihm, dass sie ihrer Tochter ein gutes Vorbild sein will und Frauen eh viel seltener in Führungspositionen sind. Das bewegt Stefan dazu, bei seinem aktuellen Job zu bleiben und verzichtet auf das Kopf-an-Kopf-Rennen.
#3 Falsches Vertrauen
Ein*e Chef*in oder Kolleg*in kann mit Empathie dein Vertrauen gewinnen und dieses für ihre eigenen Ziele ausnutzen. Sie zeigen sich fürsorglich und sprechen beispielsweise Wünsche und Sorgen an, woraufhin man persönliche Informationen preisgibt. Das nutzen manche Menschen ganz gezielt, um ihre eigenen Wünsche zu erfüllen oder um das Wissen über dich gegen dich zu verwenden.
Ali versteht sich gut mit seiner neuen Kollegin Tanja. Die beiden machen gemeinsam Mittagspause, halten mal einen Plausch an der Kaffeemaschine und gehen auch mal nach Feierabend was trinken. Da vertraut sich Ali Tanja an und erzählt ihr, dass er eine psychische Erkrankung hat. Einige Zeit später geht es darum, wer die Leitung für ein Projekt übernimmt: Tanja oder Ali? Tanja geht zum Chef und erzählt ihm von ihrer Sorge, Ali könne dem Druck aufgrund seiner Erkrankung nicht standhalten und Tanja bekommt die Leitung.
Was tun bei Manipulation durch Empathie?
Natürlich hoffen wir, dass du niemals in die Fänge solcher sogenannten „dunklen Empath*innen“ gerätst. Und wenn doch, dann raten Psycholog*innen in jedem Fall zur Flucht. Wenn du im Job durch Empathie manipuliert wirst, kann also ein Jobwechsel ein guter Gedanke sein.
Was auch hilft: Versuche, deine Empathie auf dich selbst zu verlagern und ein Selbstmitgefühl zu entwickeln. Dann kannst du die Manipulation besser erkennen und entsprechende Schritte einleiten. Sich aus einem solchen emotionalen Missbrauch zu befreien – also beim toxischen Chef kündigen beispielsweise – kann natürlich schwer fallen. Darum unser Tipp: Vertrau dich deinem privaten Umfeld an, zum Beispiel Freund*innen oder Familie. Auch ein Gespräch mit einer Fachkraft, beispielsweise bei einem*einer Psychotherapeut*in kann hilfreich sein.
Ekpathie als Selbstschutz
Ekpathie und Empathie unterscheiden sich in einem Buchstaben – und in so viel mehr: Ekpathie wird als Gegenspieler der Empathie verstanden. Damit ist nicht gemeint, dass man keine Empathie hat und gefühlskalt gegenüber anderen Leuten ist und handelt. Stattdessen ist Ekpathie die Fähigkeit, die Gefühle und Gedanken, die andere in uns hervorrufen, aktiv auszublenden. Man lässt sich also emotional nicht zu sehr auf andere ein, was ab und an sehr von Vorteil sein kann – insbesondere bei Menschen in unserem (Arbeits-) Umfeld, die uns vielleicht nicht ganz so wohlgesonnen sind.
Denn dieser Selbstschutz durch Ekpathie kann dich davor bewahren, von anderen – also von Kolleg*innen oder Chef*innen – manipuliert oder sogar ausgenutzt zu werden. Hätte Karen aus dem Beispiel von oben also eine ausgeprägtere Ekpathie, dann würde sie die Klagen ihres Chefs Uwe eher ausblenden und stattdessen rationaler handeln. Dank ihrer kognitiven Empathie kann Karen Uwes Leid nachvollziehen, entscheidet sich jedoch aufgrund ihres zeitkritischen Projekts dagegen, einige Aufgaben von Uwe zu übernehmen. Stattdessen schafft sie die Finalisierung des Projekts ohne weiteren Stress und bietet Uwe in der Woche darauf an, ihm ein paar Aufgaben abzunehmen.
Empathie: Ja, aber mit Grenzen
Natürlich ist Empathie wichtig – in unseren Beziehungen, in der Gesellschaft und selbst im Beruf. Sie ermöglicht uns, uns in andere hineinzuversetzen und ist quasi der Klebstoff unserer sozialen Beziehungen. Gleichzeitig birgt Empathie auch Gefahren, die man nicht unterschätzen sollte, wie zum Beispiel, dass Empathie auch manipulierbar macht oder manipulativ eingesetzt werden kann. Daher kann es hilfreich sein, Empathie mit einem gewissen Grad an Achtsamkeit und Aufmerksamkeit zu begegnen – und sich ein wenig mehr in Ekpathie zu üben, wo sie nötig ist. Damit schützt du dich gegenüber manipulativen Menschen und wirst dir deiner eigenen Grenzen bewusster.
Wie Empathie in der Arbeitswelt auf eine gute und lösungsorientierte Weise helfen kann, kannst du übrigens auch in unseren Kursen Design Thinking oder IPMA: Level D lernen. Schau gerne mal vorbei:
Wenn dich das Thema Empathie und Manipulation noch weiter interessiert, dann empfehlen wir dir die Folge „Manipulative Empathie” aus dem Podcast Betreutes Fühlen mit dem Psychologen Dr. Leon Windscheid und dem Comedian Atze Schröder. Hör mal rein!
Pingback: 4 Tipps, um Zukunftsangst zu überwinden | LEARNING DIGITAL Blog on 3. Juli 2023
Pingback: Wie geht digitale Kommunikation? | LEARNING DIGITAL Blog on 3. Juli 2023
2 COMMENTS