Female Leadership – brauchen wir die Diskussion überhaupt oder ist die Definition für Führungspositionen im Zusammenhang mit dem Geschlecht gar nicht notwendig?
Nanette Hüning, 54 Jahre, ist nicht nur Trainerin und Dozentin bei LEARNING DIGITAL, sondern auch Buchautorin, Systemischer Coach, Mutter und Hundemama. Mit 25 Jahren Erfahrung in Führungspositionen weiß sie, welche Anforderungen an Frauen gestellt werden und kennt die Hürden im Alltag. Was sie über female Leadership denkt und wie man damit in einem gewachsenen Wirtschaftssystem mit dominanten Machtstrukturen umgehen kann, verrät sie im Interview.
Was ist für dich female Leadership und was bedeutet es genau?
Female Leadership ist der konsequente Weg der Gesellschaft, der sich innerhalb des Megatrends „Gender Shift“ ergibt. Die Zukunft der Geschlechterrollen wird durch flexible Gender-Modelle das traditionelle Mann – Frau Rollenbild verändern. Durch female Leadership wird beschrieben was in der Realität schon lange ein Trend ist. Hinter dem Begriff steckt der Wunsch von Unternehmen erfolgreicher zu werden, da mit weiblicher Führung eine andere (besser) Art der Führung verbunden wird.
Besserer Führungsstil?
Stimmt es also nicht, dass durch Frauen eine bessere Führung erzielt wird? So klingt es zumindest …
Die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Führungsriege gute und tragfähige Ideen kommen, die die Firma weiterbringen, ist jedoch meist am größten, wenn es sich um ein Führungsteam mit großer Diversität handelt. Dadurch können verschiedene Perspektiven einbezogen werden, was Innovationen wahrscheinlicher macht. Also sind nicht vornehmlich weibliche Führungskräfte für eine bessere Führung verantwortlich.
Aber warum müssen wir es dann Benennen und auf female Leadership pochen?
Um die Realität zu ändern, braucht es Begriffe im Denken. Daher ist es wichtig Begriffe zu schaffen, die Raum geben für eine neue Realität. Ich habe auf der Seite des Zukunftsinstituts einen Artikel gelesen, in dem es darum ging, dass der Unterschied zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt heute noch präsent ist.
Dennoch gibt es den positiven Trend, dass mehr und mehr Gleichberechtigung angestrebt wird und vorherrscht, nicht nur in Europa und Nordamerika. Der Artikel besagt sogar, dass die wirtschaftliche Beteiligung der Frauen in Lateinamerika und asiatischen Ländern selbstverständlich ist. Daher ist es im ersten Schritt wichtig, dieser Entwicklung einen Namen zu geben, auch wenn er in der Zukunft in der „Normalität“ verschwinden wird.
Ich glaube, dass das Prinzip „Mann-Frau“ aufgebrochen werden muss. Es geht nicht um die Geschlechteridentität, sondern vielmehr um Charakterfragen.
Nanette Hüning.
Du hast selbst viel Erfahrung in Führungspositionen gemacht. Was fällt dir – auch als Coach – auf, wenn Frauen in leitenden Funktionen zu dir kommen und Rat suchen? Oder mit welchen Umständen sehen sich Frauen in einer Führungsrolle öfter konfrontiert?
Ehrlicherweise folgt diese Frage dem Prinzip eines geschlechterspezifischen, stereotypen Rollenverständnis. Zu den beliebtesten Stereotypen gehört die Annahme, dass Frauen und Männer sich grundlegend in ihrem Verhalten unterscheiden. Mehrere Studien zeigen, dass dies auf das Führungsverhalten nicht zutrifft (s. Prof. Dr. Uwe Kanning „Führen Frauen anders als Männer?“ aus ’15 Minuten Wirtschaftspsychologie‚)
Daher scheint eine Verbesserung der Führung ein Thema sowohl für Männer als auch für Frauen zu sein. Insofern würde ich das nicht genderspezifisch bewerten. Hinzu kommt, dass hier eine unnatürliche Erwartungshaltung an die Frau aufgebaut wird, die in der Realität nicht erfüllbar ist. Letztlich entscheidet nicht das Geschlecht einer Person darüber, wie gut sie in einer Führungsperson aufgehoben ist, sondern ihre Persönlichkeit und Expertise.
Wir erinnern uns alle daran, wie damals die Frage aufkam, ob Frau Annalena Baerbock überhaupt Kanzlerin werden könne, weil sie ja auch Mutter ist. Viele waren damals der Meinung, es solle keine Rolle spielen, ob sie Familie hat oder nicht. Wie denkst du darüber?
Diese Frage ist legitim würde sie auch an Männer gestellt. Die Verantwortung einer Kanzlerin/Politikerin/Managerin ist hoch und hat fast immer den Preis, zu wenig Zeit für Familie und Freunde zu haben. Insofern ist es eher tragisch, dass sie nie zuvor an Männer gestellt wurde, sondern einfach angenommen wurde, Männer könnten ihr Privatleben so einfach zu Gunsten der Arbeit „opfern“. Als Beispiel im Hinblick auf Emanzipation hatte ich immer meine Großmutter. Sie studierte zu Beginn des letzten Jahrhunderts als eine der ersten Frauen an der Universität in München Medizin, und führte mit meinem Großvater die gemeinsame Arztpraxis. Gemeinsam hatten sie 5 Kinder. Das Thema Emanzipation wurde nie wirklich angesprochen, aber täglich gelebt.
Genderunabhängig Führen
Ist der Begriff female Leadership also eher “equal” Leadership?
Irgendwie schon. Denn es geht eher um die Auflösung der Geschlechteridentität. Solange wir nicht verstanden haben, dass Frauen und Männer die gleichen Grundbedürfnisse haben, wird das Thema auf einer zu oberflächlichen Ebene diskutiert. Insbesondere aus unserer nordeuropäischen Perspektive. Heute hat sich der Raum des spezifisch weiblichen UND des spezifisch männlichen Verhaltens radikal ausgeweitet. So beschreibt es auch Matthias Horx in seinem Artikel, wo er über die „hyperweibliche“ Frau spricht, die an Superstar- oder Mode-Contests teilnimmt, sowie den „Spornosexuellen“, ein hypersexualisierter, sporttreibender Jugendlicher. Hier werden geschlechterbezogene Verhaltensweisen so öffentlich ausgestellt wie kaum sonst.
Was für eine Rolle spielt Gestik und Sprache?
Als Bestandteil der Kommunikation ist Sprache, Ausdruck Mimik und Gestik immer wichtig. Im Zusammenhang damit würde ich auch jungen Frauen immer raten, sich Vorbilder zu suchen und zwar nicht nur in Frauen. Es geht doch darum, sich Kompetenz anzueignen. Und das funktioniert aus meiner Sicht unabhängig von Rollenklischees.
Wie sieht es mit Kleidung und Aussehen aus?
„Gut Auszusehen“ ist sehr subjektiv. Gepflegt und attraktiv im herkömmlichen Sinne auszusehen ist ein Vorteil in jeder zwischenmenschlichen Interaktion. Ich sehe hier immer den Vergleich zwischen deutschen und spanischen bzw. lateinamerikanischen erfolgreichen Frauen in der Wirtschaft oder Politik. In diesen Ländern bleiben Frauen weiterhin „weiblich“ und dem „Frau – Sein“ treu.
In Deutschland hat es oft den Eindruck, dass die Weiblichkeit ein Hindernis sei und sie wird häufig hinter einer etwas angegrauten Fassade versteckt. Und ja, es ist hilfreich ein gepflegtes Äußeres zu haben – egal in welchem Kontext. Das meine ich im Übrigens unabhängig von Modetrends oder gerade aktuellen Schönheitsvorstellungen.
Wirft man einen Blick in die USA, stellt man fest, dass weibliche Führungskräfte sich in dem klassischen „Spagat zwischen Anpassen und Auffallen“ befinden – konservativ geschnittene Blazer in knallbunten Farben. „Sie sehen die Mode als Teil der Strategie“, so steht es in dem Artikel vom Zukunftsinstitut. Ich habe die Hoffnung, dass sich dieses Phänomen bald normalisiert.
Man ist immer Vorbild
Du bist selbst Mutter und aktuell auch Hundemama. Siehst du dich hier auch als „female Leader“ oder ist man dann eben mal keiner, weil man privat gar nicht die Führungsrolle übernehmen möchte?
Wir sind immer Leader – also Vorbilder. Noch mehr, wenn wir Eltern werden. Und wir wachsen mit unseren Herausforderungen. Das Gute ist, dass wir mittlerweile viele gute Vorbilder haben. Frauen in Führungspositionen, Frauen die trotz (oder gerade wegen der) Kinder Karriere gemacht haben. Ein gutes Netzwerk zur Unterstützung ist das A und O.
Etwas, was die meisten Männer exzellent beherrschen und Frauen noch dabei sind zu lernen. Wie bereits erwähnt sehe ich das Problem nicht in der Führung durch Männer oder Frauen, sondern eher als generelles Problem der Führung ganz unabhängig vom Geschlecht. Und letztlich ist es auch immer eine Entscheidung, die wir treffen: Wollen wir (noch mehr) Verantwortung übernehmen, oder nicht. Beides ist aus meiner Sicht vollkommen in Ordnung, und zwar sowohl für Frauen als auch für Männer.
Was gilt es – eben nicht nur als female Leader – sondern generell als Führungskraft zu beachten?
Achtsamkeit und Respekt sind aus meiner Sicht die Kernelemente jeder guten Führung. Mit Achtsamkeit entwickelt sich Empathie und Respekt. Erst dann kann ich Zuhören und bin in der Lage, gemeinsam mit meinen Mitarbeitern Lösungen zu finden. Generell müssen wir uns von der alten Top-down Führung verabschieden. Das haben amerikanische Unternehmen und die meisten innovativen Unternehmen im Westen bereits verstanden. Und es geht auch ein wenig darum, die geschaffenen Systeme, in denen immer noch aggressives Verhalten vorherrscht, zu durchbrechen. Keine „Kämpfe“ mehr auszugragen und das System zu verändern. Alles ein wenig menschenfreundlicher zu gestalten, und da ist es dann auch unerheblich, ob es sich hierbei um Frau oder Mann handelt.
Erfahrung und Aussehen
Welche Rolle spielt das Alter für eine Führungskraft?
Ich sehe den Unterscheid nur in der zeitlichen Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln. Die ist bei einem jüngeren Menschen geringer. Für Führung braucht es Erfahrung im Umgang mit Menschen und vor allem eine gute Selbstkenntnis. Allerdings sagt das Alter allein nichts über gute oder schlechte Führungsqualitäten aus. Ich habe junge exzellente Führungskräfte erlebt und ebenso ältere Führungskräfte, die selbst nach zahllosen Trainings nicht besser wurden.
Glaubst du, man kann female Leadership lernen? Oder gehören einfach auch Charaktereigenschaften dazu, um eine gute Führungskraft zu sein?
Prinzipiell sehe ich, dass wir fast alles lernen können. Es gehört Mut und Fleiß dazu. Die spannende Frage, die jeder sich selbst beantworten sollte, ist ob man überhaupt Lust auf Führung hat. Der Trend ist rückläufig. Junge Menschen haben andere Werte als noch vor 20 Jahren. Insofern muss sich an der Führungskultur generell etwas ändern. Die Strukturen anpassen an den Menschen anstatt umgekehrt. Hier braucht es ein Umdenken in Unternehmen und natürlich auch bei Führungskräften. Dann wird Führung wieder für alle attraktiver und vor allem auch unabhängig vom Geschlecht.
Du sprichst aber noch von alten, aggressiven Machtstrukturen, die männlich dominiert sind. Welche Buchtipps hast du denn für Frauen, die sich gern stärken möchten gegen „Revierverhalten“?
Auch hier gilt mein Ansatz, nicht zu unterscheiden in Mann, Frau oder divers. Führung hat mit Dienen zu tun und nicht mit Macht. Daher ist das Geschlecht nicht relevant. Die Frage nach der Geschlechterunterscheidung ist für mich so, wie eine Frage nach der Hautfarbe. Meine Buchtipps sind daher für alle Führungskräfte, egal ob männlich, weiblich oder divers. Es ist für diejenigen, die an ihrer Persönlichkeit und Expertise arbeiten möchten:
Führen mit Hirn von Sebastian Purps
Kollegiale Führung von Bernd Oestereich, Claudia Schröder
Bernd Oestereich, Claudia Schröder:
Studie vom „Forum Gute Führung“: Führungskultur im Wandel
Nanette Hüning ist Trainerin, Dozentin, Coach für Six Sigma, agiles Leadership und Changemanagement. Außerdem ist sie Six Sigma Master Black Belt, Scrum Master, Systemische Business Coach und Change-Managerin mit über 25 Jahre Führungserfahrung.
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