Sich noch mal neu orientieren, sich seinen Stärken und Interessen bewusstwerden – Christian Thieles Coaching-Ansätze können hier weiterhelfen.
Interview mit Christian Thiele zum Thema: Positiv Führen.
Christian Thiele kennt sich mit Lebensumbrüchen gut aus, so hat er selbst Lebensumbrüche erfahren und weiß, wie es ist, neue Wege zu gehen. Nach Führungspositionen im Medienbereich merkte er: Es ist Zeit, etwas Neues zu beginnen. 2015 begann er, sich mit „Positive Psychologie“ zu befassen – inzwischen gehört er zum Dozent*innenteam im ersten deutschen Studiengang zu dem Thema. Sein Motto „Positiv führen“, ein Arbeitsleben mit mehr Glück und Erfolg – und weniger Stress. Sein praktisches Wissen und die Erfahrungen aus seinem vorherigen Berufsleben bilden heute die Grundlage für das, was er gern in seinen Coachings und Trainings vermittelt.
Mit Learning Digital sprach er über Stärken und Schwächen, über den Unterschied zwischen Positive Thinking und Positiver Psychologie und vieles mehr.
Learning Digital: Was ist Positive Psychologie? Und was unterscheidet sie von Positive Thinking?
Christian Thiele: Richtig, man muss ganz klar unterscheiden zwischen den zwei Begriffen. Denn Positive Thinking hat nichts mit positiver Psychologie zu tun. Bei Positive Thinking geht es knapp gesagt darum: „Denk dir die Welt schön und alles wird so kommen.“ Das vertrete ich aber nicht. Das halte ich für falsch und fast schon gefährlich. Was die positive Psychologie macht ist etwas völlig anderes. Da geht es um die Wissenschaft und Haltung von gelungenem Leben. Dazu gehört aber auch ein konstruktiver Umgang mit Schmerz, Leid und Schuld. Nur schön denken und positiv zu denken, ist nicht das, was ich vertrete.
Learning Digital: Das heißt, man muss auch die schlechten Zustände bewusst wahrnehmen, damit man die positive Psychologie überhaupt erlernen kann?
Christian Thiele: Achtsamkeit spielt in dem Zusammenhang eine große Rolle. Sie ist wichtig für die Selbstführung. Und auch hier gilt: Denk dir nicht alles schön, sondern nimm Dinge so an, wie sie sind. Dazu gehört wie gesagt Schmerz und Negatives. Annehmen als ersten Schritt, ohne es besser machen zu wollen. Das gilt ebenfalls für positive Gefühle und Momente. Nimm sie erst mal an, so wie sie sind und verlange nicht mehr davon. Sondern nimm sie bewusst und wertungsfrei wahr – im Hier und Jetzt.
Learning Digital: Was zeichnet dein Coaching aus?
Christian Thiele: Meine Spezialisierung ist, sich mit Glück und Wohlbefinden in der Arbeit auseinander zu setzen. Das interessiert mich natürlich selbst, weil ich Freude, aber auch Krisen bei der Arbeit erlebt habe. Außerdem verbringen wir alle eben viel Zeit und Energie bei der Arbeit. Und wer da nicht glücklich ist, der ist auch im sonstigen Leben meist nicht zufrieden. Denn aus der Forschung ist bekannt, dass Unglück in der Arbeit, Konflikte oder Demotivation hohe Auswirkungen auf die Lebenszufriedenheit insgesamt haben. Ich trage gern dazu bei, dass Menschen positiver bei der Arbeit sind. Weniger Stress erleben und dann am Ende durch die Zufriedenheit auch leistungsfähiger sind. Und natürlich glücklicher arbeiten.
Learning Digital: Warum ist genau dann auch eine gute Mitarbeiterführung wichtig?
Christian Thiele: Führung in Krisenzeiten hat hohen Einfluss auf das Erleben der Mitarbeitenden. Daher kam es tatsächlich zu meiner Spezialisierung. Aber es ändert sich auch ein wenig in meinem Bereich, so dass Coaching immer mehr nicht nur für Führungskräfte angefragt und bezahlt wird, sondern auch für Mitarbeiter*innen.
Learning Digital: Die aktuelle Zeit mit Lockdowns, Kündigungen und Co. haben viele dazu veranlasst, sich neu zu orientieren oder ihre Tätigkeit zu hinterfragen. Ist es nur der Krise geschuldet, dass viele derzeit an neue berufliche Ausrichtungen denken?
Christian Thiele: Viele Branchen sind plötzlich betroffen gewesen: da mussten sich die Mitarbeiter*innen von heute auf morgen überlegen, wie sie die Kurzarbeit oder den Jobverlust gestalten. Aber auch in Branchen, wo es durchaus krisensicher lief, gab und gibt es jetzt überdurchschnittlich viele Menschen, die ihre Tätigkeiten hinterfragen. Möchte ich das wirklich noch so weiter machen?
Die Krise hat sehr viele nachdenklich gemacht. Und obwohl es einige hart traf, entstanden aus diesen schwierigen Zeiten auch neue Chancen. Nicht umsonst gibt es den Begriff „posttraumatisches Wachstum“, mit dem ich mich viel auseinandergesetzt habe. Nach schweren Krisen oder Erlebnissen wie z.B. einer Naturkatastrophe fühlt sich ein Teil der Betroffenen tatsächlich oft gestärkt. Egal ob es ein individuelles, persönliches oder kollektives Trauma war. Sie fühlen sich nach einschneidenden Erlebnissen nicht nur wieder hergestellt, sondern sagen dann auch: Ich bin an der Situation gewachsen, ich habe mich weiterentwickelt. Viele sehen ihre sozialen Verbindungen in einem neuen Licht und setzen ihre Prioritäten neu. Eine Krise sollte daher auch immer als eine Wachstumsperspektive betrachtet werden.
Learning Digital: Wenn man aber an Neuorientierung denkt, dann kann es passieren, dass man sich in Ideen und Zielen verliert. Wie schafft man es, in herausfordernden Zeiten den Überblick zu behalten?
Christian Thiele: Da sage ich gern „Ziele haben, Ziele formulieren“. Das passiert gern am Jahresanfang, wo man ja eh gern neue Ziele aufstellt. Aus der Forschung wissen wir, dass Menschen, die sich Ziele setzen, mit höherer Wahrscheinlichkeit vorwärtskommen als Menschen, die sich keine Ziele gesetzt haben. Daher ist mein Rat: Ziele aufstellen, am besten aufschreiben. Aber es gibt auch Ziele, die nicht gut sind bzw. nicht das erhoffte Mehr an Zufriedenheit schaffen können.
Denkt man zum Beispiel an den „American Way of Life“: schönere Zähne, mehr Likes, mehr Ruhm, größeres Auto: Das sind häufig nicht jene Ziele, die einen besser fühlen lassen – falls doch, dann nur für einen kurzen Moment. Sie sorgen für ein gewisses Wohlbefinden in dem Augenblick. Förderliche Ziele jedoch, die in ihrer Wirkung tiefer und länger halten, stärken Grundbedürfnisse wie Autonomie, Verbundenheit, Selbstwirksamkeit. Sie tragen dazu bei, unser Wohlbefinden zu fördern. Und wenn man über Ziele nachdenkt, sollte man auch immer daran denken: Was haben meine Ziele mit meinen Stärken zu tun? Wenn ich zum Beispiel abnehmen möchte, dann sollte ich gucken, ob meine Stärken zum Beispiel Diszipliniertheit sind, die mir helfen, abzunehmen. Oder bin ich der Typ, der gut und schnell in Kontakt kommt? Dann sollte ich bei meinem Job gucken, dass ich diese Stärke ausspiele für mein Ziel.
Learning Digital: Was ist denn noch ausschlaggebend, wenn ich ein Ziel habe? Worüber sollte ich unbedingt nachdenken?
Christian Thiele: In Veränderungssituationen geht es oft um Werte. Welche Werte will ich leben? Welche möchte ich mehr leben? Mit welchen Hindernissen muss ich rechnen, wenn ich das Ziel erreiche, bzw. wie ist es, wenn ich am Ziel bin? Damit muss man sich konstruktiv auseinandersetzen. Sogenannte „Wenn, dann…“-Pläne – entwickeln. Was passiert, wenn ich mein Ziel nicht gleich erreiche? Und was ist dann mit mir? Was könnte Schlimmes eintreten?
Learning Digital: Wie ist es aber, wenn mein „Wenn, dann“-Szenario doch negativ ist bzw. wie stelle ich mich insgesamt negativen Gedanken gegenüber? Es gibt Situationen, in denen man nicht so gut drauf ist und sich gar keine Ziele setzen kann, weil einem das Leben nicht wohlgesonnen ist. Wie schafft man es in Krisenzeiten, Ziele zu formulieren?
Christian Thiele: Ich nehme da gern das Beispiel einer Zeitmaschine. Da gibt es den Vorwärts- und Rückwärtsgang. Klar, können wir nicht in die Zukunft schauen, aber wenn man sich dann mal in die Situation reinversetzt, vom jetzigen Moment an in fünf Jahren – was ist dann?
Wie schaut man in 2027 auf das Jahr 2022 zurück? Oder auf 2020? Was denkst du, wirst du dann über die Situation sagen, wie du damals damit umgegangen bist? Was wäre ein Rat, den dein zukünftiges Selbst deinem Jetzigem Selbst geben könnte? Das wäre die Zeitmaschine nach vorne. Zeitmaschine zurück bedeutet: Was war ein Moment mit großem Schmerz oder einer großen Herausforderung in der Vergangenheit – Krankheit, Trennung, ein Todesfall?
Und jetzt sitzt du da, mit zwei Händen, zwei Armen, zwei Ohren – das heißt: du hast es ja überstanden, sozusagen überlebt. Vielleicht mit Narben, aber doch überstanden. Und vielleicht bist du ja an dieser damaligen schwierigen Situation gewachsen. Und die Dinge, die dir damals geholfen haben, aus dem Loch rauszukommen und die Situation zu bewältigen und zu meistern, wie könnten die dir jetzt helfen, um mit den schwierigen Zeiten jetzt umzugehen? Drittens gibt es die Perspektive des „Wohlwollenden Freundes“: Was würde eine wohlmeinende Person jetzt sagen, wenn man gerade mit sich hadert? Welchen Rat würde sie einem geben?
Learning Digital: Es gibt durchaus den Trend, dass sich Menschen mehr und mehr mit sich selbst und ihrem Inneren beschäftigten. Warum ist das wichtiger geworden?
Christian Thiele: Alles, was sich um „Mental Well Being“ und „Mental Health“ dreht, hat an Bedeutung zugenommen, das bemerkt man überall. Firmen buchen mich hauptsächlich, weil sie sehen, dass es nicht mehr nur um vermeintlich harte Themen wie Agilität oder Prozessmanagement geht, sondern dass es wichtig ist, etwas für jeden Einzelnen zu tun. Für mich ist die wissenschaftliche Ausrichtung sehr wichtig und Ansatz meiner Arbeit: Was weiß man über Ziele, Stärken und wie nimmt man Einfluss auf konstruktives Denken, Fühlen und Kommunizieren.
Learning Digital: Früher war der Kickertisch und das frische Obst begehrt. Heute werden kritische Stimmen laut, dass diese Angebote nicht reichen, um Mitarbeiter*innen zu sich zu holen oder auch nicht der Ansatz sein kann für die mentale Gesundheit der Mitarbeiter*innen. Wie siehst du das?
Christian Thiele: Ehrlicherweise finde ich den Kickertisch nach wie vor gut. Ein Ort, an dem man einander als Menschen begegnen kann. Und wenn wir jetzt zusammenkommen, machen wir das am besten nicht so wie vor der Pandemie, dass wir alle nebeneinander am Rechner sitzen. In Zukunft werden sich in den meisten Organisationen die meisten Menschen weniger in Präsenz und mehr virtuell begegnen. Dass wir uns dann Zeit nehmen für den Austausch und das echte Gespräch, das wäre wichtig. Von daher finde ich den Kickertisch und den Obstkorb erst mal nicht verkehrt.
Und wir wissen ja, dass positive Emotionen uns kreativer machen, den Denkhorizont erweitern und uns anschlussfähiger machen – der Kickertisch fördert so etwas. Am wichtigsten ist: Arbeit darf nicht nur gelegentlich Spaß machen, Arbeit soll Spaß machen! Wenn die Leute an und im Job Spaß haben, sind sie gesünder, leistungsfähiger und schauen sich weniger schnell nach etwas anderem um. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps – diese Devise ist altmodisch. Viele gemeinsame Momente kann man in den Führungskulturen einbinden zur positiven Verstärkung. Welches Gefühl gebe ich meinen Mitarbeiter*innen, wenn sie kickern – oder spiele ich sogar mit? Das könnte sogar Auskunft geben über die Arbeitskultur…
Learning Digital: Wie kann man Mitabeiter*innen denn das Vertrauen schenken, dass nicht nur gekickert wird?
Christian Thiele: Unsere Fähigkeit und Neigung zu Vertrauen kommen ja meistens aus einer sehr frühen Prägung. Wenn man in einem Haushalt aufwuchs, wo Arbeit nur eine Frohn war, wo viel Misstrauen war, das führt dann leicht zu mehr Misstrauen im Berufsalltag und einem entsprechenden Berufsstil. Ist man aber in einem Elternhaus aufgewachsen, wo Vertrauen tendenziell immer da war, hat man häufig weniger Probleme, Vertrauen geben zu können.
Learning Digital: Wie schafft man den Teambindung heutzutage, wo man aus dem Homeoffice arbeitet und eben nicht am Kickertisch steht?
Christian Thiele: Es gibt etwa diese „online Team Check-Ins“, wo man sich einfach zu einer festen Zeit online trifft und jeder einen Kaffee hat – einfach nur zum Small Talk. Der „Watercooler-Effekt“, wo es rein um informellen, allgemeinen Austausch geht, was man erlebt hat oder was man sonst gerade so macht, den muss man im virtuellen Miteinander bewusster herstellen.
Verbundenheit entsteht aber auch, wenn man sich über Stärken im Team klar wird. Nicht nur über seine eigenen Stärken, sondern auch die der Kolleg*innen. Überlegen, wie kann man Jobs stärker nach den Stärken ausrichten und nicht nur an dem, was getan werden muss.
Was kannst du und was kann ich, was heißt das für die Job-Profile? Team-Tandems bilden, Aufgaben, die man eigentlich allein machen kann, die man aber im Team noch mal anders macht, um voneinander zu lernen. Das sind alles Möglichkeiten der Teambildung. Dazu braucht es aber eine Führungskraft, die bereit ist, diese gemeinsamen Erlebnisse herzustellen: Gemeinsame Erfolge feiern. Das Gefühl geben, man kommt weiter. Miteinander statt Gegeneinander im Team fördern. Aufgaben nach Stärken verteilen.
Learning Digital: Und wie findet man nun die eigenen Stärken?
Christian Thiele: Wir sind uns meist viel weniger unserer Stärken als unserer Defizite und Schwächen bewusst. Daher muss man häufig ein wenig genauer hinschauen, um die zu erkennen. Stärken sind zum einen die Dinge, die wir gut können, die uns leicht fallen, die uns mit Energie versorgen. Und sie haben oft was mit unserem Kern der Identität zu tun, was uns wirklich wichtig ist und was uns ausmacht. Das herauszufinden kann eine Aufgabe vom Coaching sein. Zum Beispiel kann eine Stärke sein, ein gutes ästhetisches Empfinden zu haben – ohne dass man selbst unbedingt tolle Bilder malt. Vielen ist oft nicht klar, was eine Stärke ist oder was das Besondere an einer Stärke ist, da kann von außen geholfen werden, diese Stärke noch mal herauszuarbeiten und hervorzuheben. Jede*r kann auch Tests zu den eigenen Stärken machen, etwa der bei den Glücksforschern
Auch habe ich verschiedene Artikel und ein Buch zu dem Thema geschrieben. Demnächst kommt ein Audiokurs zu dem Thema von mir heraus.
Christian Thiele ist mit seinem Podcast auf Platz 2 der Apple Podcasts Germany – Management. Hör doch mal bei ihm rein.
WAS ist positive Psychologie?
Die moderne Psychologie hat ja mit der „Traumdeutung“ Sigmund Freuds begonnen. Freud sagte damals, vereinfacht gesagt: Der Mensch ist geprägt durch seine Lüste und Triebe und ist eher ein Defizit-Wesen. Martin Seligman hatte als führender Depressionsforscher in etlichen Studien viel dazu geforscht, wie man Menschen aus Depression heraushelfen kann. Er kam dann in den 1990er Jahren zu der Erkenntnis: Wir wissen jetzt über verschiedenste Störungen Bescheid und wissen, wie wir Störungen beheben können, Leid vermindern, Depressionen und andere Störungen lindern können. Uns fehlt aber ein Katalog der menschlichen Tugenden. Die bisherigen Studien befassen sich zu sehr mit Defiziten und Krankheiten – und zu wenig mit Stärken, Aufblühen, Ressourcen und gelingendem Leben. Und das ist positive Psychologie: Die wissenschaftliche Erforschung des gelingenden Lebens!
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